Saturday, January 29, 2011

Die Lehren der Leere - Tim Ackermann - DIE WELT

DIE WELT
Autor: Tim Ackermann|06:38

Die Lehren der Leere

Mehr als Antiquitäten: Axel Vervoordt ist der Inneneinrichter von Königsfamilien und Industrietycoons. Mit seinem Sohn Boris eröffnet er jetzt eine Galerie in Antwerpen. Eine familiäre Erfolgsgeschichte

In der ersten Ausstellung werden Bilder und Skulpturen von Günther Uecker gezeigt
Eigentlich sollte ich das jetzt nicht sagen", sagt Boris Vervoordt, "aber für mich ist eine originale Ziegelwand aus dem Mittelalter genauso ein Kunstwerk wie ein Bild von Günther Uecker." Der Galerist stockt, bricht den Gedanken ab und entschuldigt sich. Er wolle doch nicht gleich wieder so anfangen, an diesem Ort, an dem sich der Kreis schließt und an dem dennoch alles ganz anders werden soll. Denn die neue Axel Vervoordt Gallery, die am Donnerstag im Vlaeykensgang in Antwerpen ihre erste Vernissage gefeiert hat, ist als klassischer White Cube konzipiert worden. Oder zumindest als das, was im Vervoordt-Universum diesem Ideal am nächsten kommt. Also nicht 50er-Jahre-Amerika-White-Cube sondern eher 16. Jahrhundert-Belgien-White-Cube.


Vier Meter hohe, weiß gestrichene Ziegelwände, darüber eine Decke aus massiven dunklen Holz. Nichts im Raum verleugnet die Spuren der Vergangenheit, alles strahlt Ruhe und Übersicht aus. Im Zentrum einer riesigen freien Wandfläche hängt eine einzelne Stoffbahn, die der Künstler Günther Uecker mit einem alten biblischen Text beschrieben hat. Am unteren Ende der Stoffbahn sind ein paar Steine aufgeschichtet. Rechts in der Ecke ist ein Durchgang mit einer Treppe. Man hat das Gefühl, als könnte jeden Moment eine Gruppe von Mönchen mit tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen die Stufen hinabsteigen, sich auf den Marmorboden vor die Stoffbahn knien und zu singen beginnen. Insofern ist es wohl doch ein Raum mit einer typischen Vervoordt-Aura geworden.
Als Axel Vervoordt, der Vater von Boris Vervoordt, im Sommer vor vier Jahren während der Biennale in einem alten venezianischen Palast seine Ausstellung "Artempo" zeigte, spaltete er sein Publikum augenblicklich in zwei Lager: in glühende Verehrer und empörte Kritiker. Der belgische Kunst- und Antiquitätenhändler, der damals gerade 60 Jahre alt geworden war, hatte ein Ausstellungskonzept entwickelt, das so einfach wie radikal war: Bei "Artempo" lösten sich für den Betrachter die Grenzen zwischen freier Kunst und Handwerk, zwischen Wertvollem und Profanem vollständig auf. Vervoordt hatte eine alte abgeblätterte Tischplatte neben ein Bild von Lucio Fontana gehängt, präsentierte Brancusi-Skulpturen und Khmer-Artefakte Seite an Seite mit einfachen Felssteinen. Der ursprüngliche Entstehungshintergrund eines Kunstwerkes schien weit weniger wichtig, als das, was diese Ansammlung von Objekten über Schönheit, den Verfall und die harmonische Leere des Universums zu sagen hatte.
Die Perfektion der Inszenierung trug sicher ihren Teil dazu bei, dass sich die Vervoordt-Fans im Publikum schnell als die zahlreicheren und lautstärkeren erweisen. Praktisch über Nacht wurde aus einem gut vernetzten belgischen Antiquitätenhändler so etwas wie der neue Kunstphilosoph. Und in zahlreichen Zeitschriften konnte man danach Geschichten über diesen offensichtlich so beseelten Mann lesen, der sich auf seinem Schloss auf dem Land ein Meditationszimmer eingerichtet hat und der Hollywood-Schauspielern, Popstars und Königsfamilien erklärt, wie man einen alten Bauernschrank am besten mit einem Gemälde von Mark Rothko kombiniert.
Angefangen hat die Geschichte jedoch im Vlaeykensgang, dem Ort, an den jetzt der Sohn mit der Galerie zurückkehrt. "Im Alter von 21 Jahren kaufte mein Vater in seiner Heimatstadt Antwerpen diese kleine mittelalterliche Straße. Er renovierte insgesamt 16 Häuser, so dass sie alle miteinander verbunden waren und richtete sie ein", erzählt Boris Vervoordt. Sein Vater war als junger Mann zu einigem Geld gekommen, weil er schon als 14-Jähriger begonnen hatte, mit Antiquitäten zu handeln, die er in England kaufte. Viele Familien des englischen Adels litten zu dieser Zeit unter der horrenden Erbschaftssteuer und trennten sich deshalb von ihren Dachbodenschätzen. Vieles sammelte der belgische Teenager selbst. Anderes verkaufte er an Freunde seiner Familie weiter. Der Erwerb des Vlaeykensgangs war der Moment, in dem sich Vervoordt ernsthaft entschloss, Antiquitätenhändler zu werden. Er richtete einen kleinen Laden ein und umgab sich dort mit seiner Sammlung. Kunden, die den Landen damals betraten, dürfte nie ganz klar gewesen sein, was zu verkaufen war und was nicht.
Im Vlaeykensgang fand Vervoordt auch Anschluss an die Antwerpener Kunstszene. Walther Leblanc, der Verbindungen zur Düsseldorfer ZERO-Gruppe hatte, lebte damals in der kleinen Straße. Auch der Maler Jef Verheyen hatte dort ein Studio. Verheyen war der erste Künstler, den Vervoordt 1974 in seiner Galerie zeigte. Zur Vernissage kam damals Günther Uecker aus Düsseldorf und eine weitere Freundschaft entwickelte sich, die bis heute halten sollte.
Das Familiengeschäft Vervoordt hat seit den siebziger Jahren enorm expandiert. Allein zwischen 2004 und 2009 stieg der Umsatz der belgischen Kunsthandelsfirma, der unter anderem Bill Gates, Steven Spielberg und Sting vertrauen, von 18,8 Millionen Euro auf 30,6 Millionen Euro. Hauptsitz wurde 2000 eine ehemalige Mälzerei in Wijnegem. Seit vier, fünf Jahren leitet hauptsächlich Boris Vervoordt die Geschäfte - inoffiziell versteht sich. "Ganz offiziell wird es wohl nie werden", vermutet der 37-Jährige. Doch klar ist, dass sich der Vater mittlerweile stärker auf die 2008 gegründete Vervoordt Stiftung, auf das Kuratieren von Ausstellungen und auf die Planung eines Museums konzentriert, das 2014 in Wijnegem eröffnen soll.
Die neue Axel Vervoordt Gallery war dagegen Boris Vervoordts Idee, die er zusammen mit Hans November, einem Mitarbeiter, umsetzte. "Durch die Entwicklung der Firma mussten wir auch neu über die Beziehungen nachdenken, die wir zu unseren Künstler haben", sagt der Galerist. "Die Künstler lieben die Ausstellungen wie ,Artempo', die wir in Venedig machen. Aber wenn sie das Bild eines lebenden Künstlers in dieses Umfeld hängen, kann es passieren, dass die intendierte Botschaft nicht ganz klar wird. In Venedig gibt es in den Räumen einfach zu viele zusätzliche Informationen, welche die Besucher irritieren und ablenken können." Die Rückkehr nach Antwerpen war also vor allem ein Versuch, die Dinge zu trennen. "Um unsere Vision in Venedig möglichst rein zu halten, haben wir als Ausgleich die Galerie geschaffen." Flämischer White Cube statt venezianischer Opulenz, damit die Kunst endlich einmal ganz allein die Aufmerksamkeit erhält.
Die Regeln für die Axel Vervoordt Gallery sind so gesetzt: "Wir zeigen hier nur Werke von lebenden Künstler, die direkt aus dem Studio kommen", sagt Boris Vervoordt. Das bedeutet wirklich marktfrische Ware und kein "Secondary Market" - kein Wiederverkauf bereits gehandelter Werke. Gezeigt werden sollen vor allem die Künstler der ZERO-Gruppe und der japanischen Gutai-Gruppe, zwei wichtige ungegenständliche Strömungen der Nachkriegszeit. Dazu werden sich in Zukunft junge Gegenwartskünstler gesellen, die mit ihrer geistigen Haltung ins Programm passen. Im März wird der koreanische Landschaftsfotograf Bien-U-Bae eine Einzelausstellung bekommen.
Eröffnet wurde die Galerie nun allerdings mit dem guten Freund Günther Uecker. Zu sehen sind unter anderem drei Arbeiten aus seiner Werkserie "Black Rain" von 1999, bei der die weiße Leinwand mit schwarzen Spritzern übersät ist, so als sei Regen frisch auf einen Acker gefallen. "Es geht um die Natur, um ihre Fruchtbarkeit", sagt Boris Vervoordt. Dazu werden neuere Arbeiten des Künstlers präsentiert: die Skulptur "Baum" von 2009 sowie "Schemot" und "Sura" von 2008 - zwei Stoffbahnen-Arbeiten des Künstlers, die sich auf religiösen Geschichten beziehen, die in ähnlichen Varianten sowohl im Islam als auch im Judentum und Christentum vorkommen. "Es war uns von Anfang an klar, dass wir diese Arbeiten in der Galerie zeigen wollen", sagt Boris Vervoordt. "In einer Stadt wie Antwerpen, in der es Spannungen zwischen den Religionen gibt, geht von den Bildern eine starke Botschaft aus."
Auch das scheint neu im Hause Vervoordt: Plötzlich geht es nicht mehr nur um den Kosmos, plötzlich geht es auch um Soziales. Doch der Galerist widerspricht. Es habe sich nichts geändert. Man möge immer noch keine Künstler, die ideologische Dogmatiker sind. "Im Grunde sind die Vervoordts immer unpolitisch gewesen. Das ist auch die größte Kritik an uns, aber so sind wir nun mal", sagt der Galerist. "Wir haben einfach keine Angst, etwas Schönes zu schaffen."

No comments:

Post a Comment