http://www.lettre.de/aktuell/94-jocks.html
LETTRE INTERNATIONAL - Europas Kulturzeitung
H.N. Jocks spricht mit Piene, Mack, Uecker
ZERO IN EUROPA
HEINZ-NORBERT JOCKS: Über den Modus der Leere werden wir noch reden müssen, um uns über das Utopische von ZERO klarzuwerden. Interessant ist ja, daß fast parallel zu ZERO in Frankreich das Buch von Roland Barthes Am Nullpunkt der Literatur erschien und daß in der französischen Literatur seitens des Nouveau roman die Loslösung von allem Psychologischen eingefordert wurde. Das war sozusagen eine Parallelaktion zu ZERO.
(…)
OTTO PIENE: Es geht ja um die späten vierziger Jahre. Davor besuchte ich in München die Kunstakademie. Der Platz, wo ich am liebsten gemalt habe, war buchstäblich auf den Mauerresten der Akademie. Von dort aus hatte man einen Blick in den Himmel und auf einige Zwischenräume von München, die nicht in Trümmern lagen. Darüber hinaus gab es einen persönlichen Horizont. Über der Trümmerlandschaft, die in den späten vierziger Jahren traumatisch war, lag eine andere, ja vollkommen reine, bei Tageslicht so helle wie intakte Welt. Sie wurde für mich zum Inbegriff der Leere. Dieser Himmel über der chaotisch zerstörten, kaputten Stadtlandschaft, die kaum noch erkennbar war, wenn man nicht die Karte bemühte, war eine sowohl faßbare wie auch unfaßbare und gegenstandslose Leere. Diese findet sich bei uns, die wir hier sitzen, immer wieder unter verschiedenen Namen. Mal heißt sie „Himmel“, mal „Wüste“ oder „Arktis“. Damit ist eine Vorstellung verknüpft, die sich gut mit dem verträgt, was an den aufgezählten Stätten andere gedacht, gefühlt und gesehen haben und diese motiviert hat, die Leere nicht nur zu untersuchen, sondern auch menschlich greifbar zu machen …
Herr Uecker, was verstanden Sie unter Leere?